Rezension | Das unerhörte Leben des Alex Woods | Gavin Extence


Eigentlich ist anders zu sein in der Mittelstufe das einzige Verbrechen, das man begehen kann. Die meisten Dinge, die von der UN als Verbrechen betrachtet werden, sind in der Mittelstufe durchaus akzeptiert. Grausam zu sein, ist in Ordnung. Brutal zu sein, ist in Ordnung. Widerlich zu sein, ist Ordnung. Oberflächlich zu sein, ist besonders in Ordnung. Gewaltausbrüche sind in Ordnung. An der Demütigung anderer Gefallen zu finden, ist in Ordnung. Jemandes Kopf in eine Toilettenschüssel zu drücken, ist in Ordnung (und je schwächer das Opfer und je dreckiger die Toilette, umso besser). Nichts davon wird den sozialen Status beeinträchtigen. Aber anders zu sein – das ist unverzeihlich. – Seite 99

Alex Woods ist zehn Jahre alt, und er weiß, dass er nicht den konventionellsten Start ins Leben hatte. Er weiß auch, dass man sich mit einer hellseherisch begabten Mutter bei den Mitschülern nicht beliebt macht. Und Alex weiß, dass die unwahrscheinlichsten Ereignisse eintreten können – er trägt Narben, die das beweisen. Was Alex noch nicht weiß, ist, dass er in dem übellaunigen und zurückgezogenen lebenden Mr. Peterson einen ungleichen Freund finden wird. Einen Freund, der ihm sagt, dass man nur ein einziges Leben hat und man immer die bestmöglichen Entscheidungen treffen sollte. Darum ist Alex, als er sieben Jahre später mit 113 Gramm Marihuana und einer Urne voller Asche an der Grenze in Dover gestoppt wird, einigermaßen sicher, dass er das Richtige getan hat.

Die Geschichte beginnt mit dem eigentlichen Ende. Als Alex am 03.Juli 2004 im Krankenhaus zu sich kommt, hat er bereits knapp einen Monat seines Lebens verloren. Er ist 10 Jahre alt, als ein Meteorit durch die Zimmerdecke des Hauses knallt und ihn schwer am Kopf verletzt. Es ist ein Wunder, das Alex überlebt. Er erfährt im Krankenhaus was passiert ist und ist total überrascht, dass er sich auch an nichts erinnern kann.

Als ich zu mir kam, dachte ich erst, ich sei im Himmel. Ich nahm an, es müsste der Himmel sein, weil alles so schmerzvoll weiß war. Nach einigen Zuckungen wurde mir klar, dass ich immer noch Augen und funktionierende Augenlider besaß, obwohl ich mein irdisches Dasein hinter mir gelassen hatte, und dass ich für den Bruchteil einer Sekunde durch die zusammengekniffenen Augen blinzeln konnte – war mir ratsam erschien, bis sich meine Augen an das Milliarden-Watt-starke Leuchten des Jenseits gewöhnt hatten. – Zitat Seite 27

Nur diese eine große Narbe an seinem Kopf erinnert an das Ereignis. Seit dem Unfall hat Alex epileptische Anfälle, die anfänglich nicht kontrollierbar sind und ihn in die ein oder andere peinliche Situation bringen. Alex ist in der Schule eher der Außenseiter. Seine Begeisterung nach dem Unfall gilt den Naturwissenschaften und seine Krankheit betreffend der Neurologie. Alex lernt eher durch einen unglücklichen Zufall, als er mal wieder auf der Flucht seiner Mittelstufen Peiniger ist, den griesgrämigen Mr. Peterson kennen. Mr. Peterson ist gerne direkt, ausfallend und nimmt kein Blatt vor den Mund. Aber genau das macht ihn so besonders. Auch wenn die Schimpfwörter und Beleidigungen situationsbedingt oft ein Gefühl von Fremdschämen verursachen, hat er eine für sich liebenswürdige und auch väterliche Art. Zwischen Alex und ihm entwickelt sich eine besondere Freundschaft und der kleine Junge wirkt mit seinem kindlichen Charme doch sehr Erwachsen und nicht altersentsprechend naiv sondern ganz im Gegenteil, sehr selbständig, verantwortungsbewusst und überdurchschnittlich klug.

Im Laufe der Geschichte lernen wir einiges über Alex´s Epilepsie und den Verlauf seines noch sehr jungen aber aufregenden Lebens kennen. Der Geschichtsverlauf geht über 7 Jahre und während dieser Zeit erleben wir nicht nur die persönliche Entwicklung von Alex sondern auch den Beginn und das Ende einer außergewöhnlichen Freundschaft.

Der Aufbau und der Schreibstil sind dem Autor sehr gut gelungen. Gleich zu Beginn tauchen wir in eine komplett surreale Situation ein, als Alex mit Marihuana und einer Urne voll Asche von Zollbeamten im Alter von 17 Jahren an der Grenze zu Dover aufgegriffen wird. Im Auto dröhnt laute klassische Musik und kurze Zeit später sitzen wir bereits im Verhörraum auf dem Revier und lauschen dem 17-jährigen Alex, wie er uns an die Hand nimmt und uns mit auf eine Reise durch seine Vergangenheit nimmt. Eine Geschichte, die uns berührt, traurig und zeitlich aber auch mutiger macht. Mit der Lust auf mehr Wissen und dem Einfühlungsvermögen und der Kraft, das eigene Leben nicht nur verändern zu wollen, sondern auch am Leben anderer intensiver teilhaben zu wollen.
Nun unser Gehirn erschafft für jeden individuellen Mensch ein eigenes, einzigartiges Universum. Darin existiert alles, was wir wissen. Alles, was wir sehen oder berühren. In gewisser Weise erschaffen unsere Gehirne die Realität. Ohne das Gehirn gibt es nichts. – Zitat Seite 76

Persönliches Fazit:

Eine besondere Freundschaft zwischen einem besonderen Jungen, der die Welt aus einer anderen Perspektive betrachtet und alles an Wissen aufnimmt, was man ihm anbietet und einem alten, aber dennoch sympathischen Griesgram, der einen immer wieder durch seine direkten und verbalen Aussetzer laut zum Lachen bringt und gleichzeitig berührt. Alex Woods ist einer außergewöhnlicher Junge mit einer ganz speziellen Geschichte, die weitergetragen werden muss. Eine klare Leseempfehlung von mir! 

(c) Rezension: 2014, Aygen (AE)



"Das unerhörte Leben des Alex Woods – Oder warum das Universum keinen Plan hat" - von Gavin Extence, erschienen im Limes Verlag
Genre: Roman
Ausstattung: 480 Seiten, Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
ISBN13: 978-3-8090-2633-4

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