Rezension | Wovon wir träumten | Julie Otsuka

"Vielleicht hatten wir einen Bruder oder Vater ans Meer verloren, oder einen Verlobten oder jemand, den wir liebten, war eines unglücklichen Morgens ins Meer gesprungen und einfach fortgeschwommen, und nun war es auch für uns an der Zeit, aufzubrechen." - Zitat Seite 9


Kurzbeschreibung:




Anfang des 20. Jahrhunderts verlassen junge, schöne Japanerinnen ihr Land um im fernen Amerika ein neues Leben zu beginnen. Voller Hoffnung und Zuversicht besteigen sie ein Schiff, um das erste Mal auf ihre zukünftigen Ehemänner zu treffen, welche durch Heiratsvermittler in ihrer Heimat für sie auserwählt wurden. Attraktive Männer, die auf den Fotos so stark, warmherzig und wohlhabend aussehen und ihr Lächeln eine rosige Zukunft weit weg von Armut und Hunger versprechen. Doch angekommen in dem fremden Land entpuppt sich bereits bei Ankunft, dass der Schein trügt und die Männer, die sie in Empfang nehmen, weder warmherzig noch wohlhabend noch so strahlend jung und attraktiv sind, wie auf den Fotos. Das Leben der jungen Japanerinnen weit fern der Heimat entwickelt sich zu einer harten Lebensprobe voller Enttäuschungen, Qualen und Opfer, die sie bringen um nicht wieder zurückgeschickt zu werden und obwohl ihr bleiben auch ein harter Kampf ums Überleben darstellt, geben sie bis zum Schluss nicht auf.

Meine Gedanken zu dem Buch:


Bei diesem Roman erzählt die Autorin die Geschichte über die Japaner sowohl vor dem Angriff auf Pearl Harbor als auch die Deportation während des 2. Weltkrieges in Amerika. Geschichtliche Fakten hat sie hier durch eine poetische Schreibweise erweitert und erzählt uns Hintergründe über die Minderheit einer Bevölkerung in den Staaten. Die Geschichte wird in Wir-Form erzählt und trotz der Mehrzahl an Schicksalen baut man eine gewisse Nähe zu den Frauen, über die zum größten Teil berichtet wird, auf. Zu Beginn erzählt man von den so genannten „Picture Brides“ Frauen, die praktisch versprochen werden ohne den Partner je persönlich kennengelernt zu haben. Lediglich ein schönes Foto einer fremden Person verhilft hier zum „Ja“ sagen. Angekommen in Amerika werden die Frauen nicht von den erwarteten Männern am Hafen empfangen, sondern von einfachen, ergrauten, erschöpften und weitaus älter erscheinenden Hilfsarbeitern. Kein, wie versprochen und auf dem Foto ersichtlicher junger, attraktiver Mann, mit gutem Einkommen und einer sicheren Zukunft. Die meisten Mädchen auf diesem Schiff waren noch sehr jung und wohlerzogen. Dennoch unerfahren im Umgang mit einem Mann aber im Besitz von haushälterischen Fähigkeiten und den gängigsten Umgangsformen, die man von ihnen erwartete.

"Ein Mädchen muss sich einem Zimmer anpassen: Es muss anwesend sein, ohne den Anschein zu erwecken, dass es existiert." - Zitat Seite 13

Bereits nach der Ankunft fügen sie sich voller Enttäuschung doch ihrem Schicksal. Während schon in der ersten Nacht die Männer über sie herfallen, rücksichtslos und sie sogar vergewaltigen, halten sie still und sind starr vor Angst. Nicht vor dem Gegenüber, sondern vor dem was sie erwarten würde, wenn sie zurückgeschickt werden würden. Die Geschichte erzählt von Menschen, nicht nur jungen Frauen, sondern auch ihren Männern, wie sie voller Erschöpfung weiter auf den Feldern arbeiten, stets gebückt und demütig. Ihre Kinder verlieren und ihre Kultur verleugnen müssen. Sie werden geachtet und ausgeschlossen aus der Gesellschaft, ja fast wie Tiere behandelt. Selbst mit den Jahren wird es statt besser immer schlimmer. Nach jahrelangem Schuften, blutigen und wunden Händen werden sie selbst von ihren Kindern nicht geachtet. Diese fangen an ihre Sprache und Herkunft zu leugnen, passen sich immer mehr den amerikanischen Sitten an um nicht wie ihre Eltern, die Einwanderer behandelt zu werden.

"Wir dachten nicht mehr an Gott. Wir entwickelten eine innere Kälte, die bis heute nicht gewichen ist. Ich habe Angst, dass meine Seele gestorben ist." - Zitat Seite 49

Als der 2. Weltkrieg ausbricht wird es schlimmer, auch wenn sie inzwischen nicht mehr in einem Hühnerstall hausen müssen, sondern kleine abgewrackte Wohnungen bewohnen, hört das Elend nicht auf. Viele der Ehemänner werden geholt und die Deportation beginnt. Erst unwissend für viele und dennoch ist ihnen ihr Ende bewusst. Sie verstecken sich tagelang, flüstern selbst in ihren Häusern und verschanzen sich. Zum Ende des Buches wechselt die Autorin die Perspektive und es wird aus Sicht der Amerikaner geschrieben. Wie sie die Veränderung in der Stadt anfangen wahrzunehmen und sich fragen, warum die Japaner noch nicht zurück sind. Sie hatten bis dato die Information, dass die „Verschleppung“ nicht von Dauer sei. Erst als die Gerüchte streuen und vereinzelt Briefe eintreffen ahnen sie was passiert ist.

Kurz & gut - mein persönliches Fazit:

Die Autorin Julie Otsuka besitzt einen wunderbaren Schreibstil. Berührend und Emotiongeladen erzählt sie uns die Geschichte von jungen Frauen, die ihre Kindheit, Unschuld und ihre Seele opfern, in der Hoffnung ein besseres Leben, leben zu können, als ihre Familien in Japan. Eine Geschichte mit reellem Hintergrund über die Japaner während des 2. Weltkrieges in Amerika. Poetisch und dennoch klar und voller Eleganz über den Verlust der eigenen Kultur und dem Leben als Außenseiter in einer völlig fremden Gesellschaft. Ein Buch, das mich sehr berührt hat und betroffen macht. Man sollte es mit Bedacht lesen um dieses Elend und diese Erfahrungen mit dem entsprechenden Respekt behandeln zu können. Schwere Kost, die uns zeigt, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt und man nicht die Augen verschließen sollte und Vergangenes nicht vergessen aber respektvoll damit umgehen sollte.

© Rezension: 2013, Aygen (ae)


Buch Zitate: Die Seitenangaben befinden sich unter dem jeweiligen Zitat.
© by Julie Otsuka

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